Sosthène Weis an seine Eltern

Abschrift des Briefes von Sosthène Weis an seine Eltern. Der Brief trägt kein Datum, dürfte aber 1891 entstanden sein. Der Brief war 1997 im Besitz von Marco Zorzi der mir erlaubte ihn zu kopieren, das Original befindet sich inzwischen in unbekannten Händen.

Liebe Eltern!
So bin ich nun hier in Aachen auf dem Polytechnikum als Studierender des Bauingenieurwesens. Ich bin noch zu fremd als dass es mit gut gefallen würde, u. bin wohl froh den Spedener1 hier zu haben.
Wie ich Ihnen schon sagte ist alles hier sehr theuer; Mein Zimmer das ungefähr 100 meter vom Polytechnikum2 entfernt ist kostet mich 18 Mark, (was hier sehr billig ist. Die meisten die wir gesehen kosteten über 20 Mark). Die Pension erhalte ich einstweilen im Hause selbst für 40 Mark was auch sehr billig ist.
Die meisten Studenten bekommen Kost u. Logis für 60-70 Mark.3
Es sind hier glaube ich 7-800 Studenten auf dem Polytechnikum. Die Höflichkeit unter ihnen sit sehr gross; wenn zwei Bekannte sich begegnen so ziehen sie den Hut ab bis auf den Boden.
Das Polytechnikum ist prachtvoll eingerichtet; ich wurde Dienstag4 eingeschrieben was 93 Mark kostete. Mein Diplom genügte. Nur für Kurse werde ich etwa 160 Mark pro semester bezahlen müssen, weil ich eben viele Stunden nehme, biss 44 per Woche, während ich in Luxemburg nur 28 hatte. Also viel Arbeit.
Wenn Herr Muller ihnen die wollene Bettdecke die ich bei ihm gelassen so geschickt hat, so schicken Sie mir dieselbe herauf. Wenn Sie dieselbe nicht haben so wird er mir sie schicken denn ich habe ihm darüber geschrieben.
Wenn mein Zeichenbrett die Grösse von 0.60/0.80 m hat oder auch darüber so schicken Sie mir dasselbe gleich, denn ich brauche es alsbald.
Wir müssen uns auch Bücher kaufen aber nicht viele.
Spedener und ich haben ein wenig die Flemm. Sonst geht aber alles gut.
Schicken Sie mir auch meine Kiste alsbald. Sie müssten mal die Herrn Studenten sehen wenn sie ins Colleg kommen mit dem Stecken u. der Cigarre, ganz schneidig u. kerzengerade, manche mir Schmitzen oder Schnarren im Gesicht. Der Herr Pescatore aus Luxemburg5 ist auch hier. Schicken sie das Zeichenbrett dann geschwind. U. denken sie — dieser Satz ist durchgestrichen —-
Für uns ist es im Anfang schwer mitfortzukommen6 weil wir noch nicht an das Wesen einer Hochschule gewohnt sind. Wenn einer hiehin u. bei mich kommen wollte, so müsste er auf dem Bahnhof „Templerbend“ aussteigen (es sind nämlich hier 4 Bahnhöfe)
Sonst weiss ich Ihnen einstweilen nichts neues zu sagen. Seien sie nur ruhig, hier wird schon alles so gut als möglich gehen.
Sagen Sie allen meinen besten Gruss und sagen sie ich befände mich noch immer wohl.
Sosthène

  1. Es dürfte sich um Simon Spedener genannt ZIMI, Student des Hütteningenieurwesens handeln. Geboren in Wiltz schreibt er sich ebenfalls 1891 in Aachen ein. Er war Mitglied des „Vereines der Chemiker und Hüttenleute“, schließt 1896 ab, und stirbt schon 1897. Annuaire ALI 1897/98 Joseph Beffort 1898 Seite 38-40. Er war, wie Weis zuvor Schüler auf dem Atheneum, beide schliessen 1890/91 ab. Sie dürften sich also vorher schon gekannt haben. []
  2. Das Hauptgebäude befindet sich auf Templergraben 55. []
  3. Eine Erhebung der Stadt Aachen von 1914 kommt zu dem Ergebnis daß die meisten Studenten ein Zimmer bei einem Preis von 25-30 Mark zahlen. []
  4. Zum Problem der Datierung: Es muß sich um einen Tag im Oktober 1891 handeln da Sosthène sich in dem Jahr erstmalig einschrieb, wofür ja auch die Anwesenheit von Spedener und Pescatore spricht []
  5. Pescatore Antoine * 1868 war ab 1887 als Hütteningenieur in Aachen eingeschrieben, dürfte um 1891 aber abgeschlossen haben und kaum mit dem Neuling verkehrt haben. Sosthène erwähnt ihn vermutlich nur um seine Eltern zu beruhigen daß er sich auch wirklich in guter Gesellschaft befindet. []
  6. „Fir eis as et am Ufank schwéier fir matvirunzukommen“ Neben diesem, von mir durch Fettschrift hervorgehobenen, wimmelt vor allem der letzte Teil des ansonsten korrekt geschriebenen Briefes nur so von „Luxemburgismen“. In der Tat ein Indiz für Sosthène zur Zeit schlechte Stimmung, der des Schreibens müde immer mehr ins Idiom verfällt. []

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